1984 plus 10 -
Realität und Utopien der Informatik

Auszüge aus den Pressemitteilungen zur 10 FIfF-Jahrestagung, Bremen 1994



1984 wurde das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) aus Sorge über die zunehmende Militarisierung dieses Faches gegründet. "Wir wollten Partei ergreifen für die Menschen, für Gerechtigkeit, für Entwicklung - Partei gegen blinden, technikfixierten Fortschrittsglauben. Dabei war die Thematik des FIfF nie auf die Rüstungsfrage beschränkt, aber sie ging von ihr aus", so Helga Genrich, langjährige Vorsitzende des FIfF auf der 10. FIfF-Jahrestagung, die vom 7. bis 9. Oktober 1994 in Bremen stattfand. Über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz kamen dort zusammen, um sich in Vorträgen, Arbeitsgruppen und einer Podiumsdiskussion mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Informations- und Kommunikationstechnik auseinander-zusetzen. Die 10. FIfF-Jahrestagung war damit in diesem Jahr eines der großen Ereignisse auf dem Gebiet Informatik und Gesellschaft.

Im Mittelpunkt der Tagung stand die Frage: Welche Utopien und Visionen in den Bereichen Arbeit und Alltag, Staat und Umwelt haben in der Vergangenheit bei der Entwicklung der Informatik eine entscheidende Rolle gespielt, welche bestimmen Gegenwart und Zukunft? Schon vor zehn Jahren gehörten zu den brisanten Themen die innige Verflechtung der Informatik mit der Rüstung, die Automatisierung der Arbeit, der "gläserne" Mensch, die weltweite Vernetzung, die Fehleranfälligkeit informationsverarbeitender Systeme und die Verantwortung der Computerfachleute. All diese Probleme sind weiterhin ungelöst und stehen nach wie vor auf der Tagesordnung. Hinzugekommen sind weitere Themen wie die Rolle der Frauen in der Informatik zwischen Unterrepräsentation und einer feministischen Utopie sowie die ökologische Orientierung der Informatik. Die zwölf Arbeitsgruppen im Rahmen der FIfF-Tagung griffen viele dieser Themen auf und setzten sich dabei intensiv mit aktuellen Entwicklungen und Perspektiven sowie Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten auseinander.

Informatik als neue Technik, die radikal in das Leben eingreift

Auch die Hauptvorträge der Tagung spiegelten den anhaltenden Prozeß der Veränderung von Arbeitswelt und Alltag durch den Einsatz der Informationstechnik wider. Die bekannte Schweizer Soziologin Bettina Heintz erläuterte in ihrem Vortrag anhand von Beispielen, wie Technik allgemein und Informationstechnik im besonderen verwendet werden, um bestimmte soziale Verhaltensweisen zu erzwingen. Die langjährige Vorsitzende des FIfF, Helga Genrich, blickte auf zehn Jahre FIfF zurück und zog kritisch Bilanz. Heute sei die Aufgabe des FIfF, militärische Einflüsse und menschenfeindliche Tendenzen in der Informatik aufzuspüren schwieriger als vor zehn Jahren. Professor Alexander Roßnagel, prominenter Experte für Computer und Recht, vertrat die These, daß die Nutzung von Informationstechnik die Verletzlichkeit der Gesellschaft steigert. Anschließend zeigte er technische, organisatorische und rechtliche Möglichkeiten auf, diese Gefahren zu reduzieren. Die krisenreiche Beziehung zwischen Computer und Arbeit war Thema des Vortrages von Peter Brödner, der jedoch auch Beispiele gelungener Gestaltungsansätze präsentieren konnte.

Vertreter von Wirtschaft und Gewerkschaft zogen auf einer Podiumsdiskussion eine Bilanz der berufliche Situation von Informatikerinnen und Informatikern. Diese früher vielumworbenen, hochbezahlten und privilegierten Fachleute teilen heute die Sorgen und Nöte der anderer Beschäftigungsgruppen.

Informatik für eine lebenswerte Welt

Zehn Jahre FIfF - ein Anlaß zur Bestandsaufnahme: Aufgabe des FIfF sei, so Helga Genrich, "die Kritik der Informatik, die von ihrer Wurzel her militarisiert war und ist, und den Menschen als technisch zu beherrschendes, unvollkommenes Restrisiko begreift". Das FIfF hat sich von Beginn an gleichermaßen an die Öffentlichkeit und die Fachkollegen als Adressaten gewandt. In der Informatik ist inzwischen die Beschäftigung mit ihren gesellschaftlichen Auswirkungen Teil der Disziplin geworden und hat Eingang in die Lehrbücher gefunden. Die Arbeit des FIfF hat hier Früchte getragen. Und auch die Öffentlichkeit ist nicht mehr bereit, sich zum Objekt degradieren zu lassen: "Wir wollen nicht eine fertige, durchstrukturierte neue Technologie angeboten bekommen, sondern wir wollen sie bei der Einführung mitbestimmen", betonte Henning Scherf, Bremer Senator für Bildung und Wissenschaft, in seiner Eröffnungsansprache.

Das FIfF, in dem mittlerweile über 900 Mitglieder organisiert sind, hat sich nie allein auf Kritik beschränkt, sondern immer auch den sinnvollen und verant-wortbaren Einsatz der Informationstechnologie angestrebt. Auf der Bremer Tagung wurden daher aktuelle Entwicklungen analysiert und Perspektiven sowie Einfluß- und Gestaltungsmöglichkeiten intensiv diskutiert. Dabei wurden auch nachdenkliche Stimmen laut, z.B. Helga Genrich: "Ich frage mich, ob wir als Informatiker wirklich auf dem Weg sind von Konstrukteuren der Waffe Computer zu harmlosen, fachkundigen Reisebegleitern auf dem 'Computer-Superhighway'". Mit neuen Konzepten und Entwicklungen im Bereich der Informationstechnik müssen auch aufs neue kritische Fragen gestellt und Tabus aufgebrochen werden. "FIfF soll politisch weiterhin die Wächterrolle spielen, die es immer gespielt hat", ermunterte Wolfgang Coy, der Sprecher des Fachbereichs 8 der Gesellschaft für Informatik, die Zuhörer in seinem Grußwort.

Das FIfF wird sich weiterhin einmischen, gemeinsam mit seinen Kooperationspartnern im In- und Ausland. Technik ist nicht einfach da, sondern wird gemacht, ihre Folgen muß man nicht hinnehmen, man kann sie verändern.

"FIfF lebt und wird - das zeigen die täglichen Anfragen - gebraucht" - so lautet das Resumé der 10. FIfF-Jahrestagung.


Die Beiträge und Ergebnisse der Tagung sind im Tagungsband "Realität und Utopien der Informatik" nachlesbar.


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Letzte Änderung: 13.11.1998